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Gottschalk: Rüffel vom späteren Papst

Autorenfoto Thomas Gottschalk
Thomas Gottschalk über Glauben und Zweifel und seine oberfränkische Heimat
Datum:
Veröffentlicht: 27.5.25
Von:
Heyne-Verlag/Thomas Gottschalk

In Bamberg geboren, in Kulmbach aufgewachsen: Thomas Gottschalk ist auch heute noch eng mit dem Erzbistum Bamberg verbunden. Seine katholische Herkunft verbirgt er nicht. Das wird in seiner dritten Autobiografie „Ungefiltert – Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“ deutlich. Wir haben das Buch gelesen und veröffentlichen mit freundlicher Genehmigung des Heyne-Verlags Auszüge, die seine Heimat und seine Gedanken über Glaube, Gott und Kirche betreffen.

Über Kulmbach und die Kirche

Mein Zeitgefühl wurde damals maßgeblich vom Kirchenjahr beeinflusst. Zur Adventszeit hing ein riesiger Adventskranz von der Decke der St.-Hedwigs-Kirche, und zu Fronleichnam zog ich Ende der Fünfzigerjahre im Ministrantenrock noch voller Stolz und gemeinsam mit mehreren Blaskapellen durch die Kulmbacher Innenstadt, bis irgendwann in den Sechzigern Herr Härtel, der steifbeinige Organist, der sich, während die Prozession sich durch das evangelische, aber tolerante Kulmbach bewegte, allein auf der Empore der leeren Stadtpfarrkirche Zu unserer Lieben Frau an der Orgel verausgabte, an allen Freiluftaltären mit seiner Kunst zu hören war. Aus den Lautsprechern am Marktplatz ertönte seine festliche Begleitung von »Fest soll mein Taufbund immer stehen« genauso klar wie bei »Ein Haus voll Glorie schauet, weit über alle Land« am Altar der Wolfskehle. Für mich damals ein technisches Wunder und ein Beweis für Gottes Allmacht.

Ja, ich habe es bereits zugegeben, wir waren als Kinder und Jugendliche im Kirchenjahr gefangen, folgten einer Leitfigur, die man uns vorgesetzt hatte, und wir haben das kritiklos nachgebetet. Die Kirche, die Vereine, die Parteien waren mal Sammlungsbewegungen, und alle haben an Attraktivität eingebüßt.

Unsere Eltern haben uns da hingeschickt, und wir haben deren Ansagen einfach befolgt, haben nach ihnen gelebt und sind damit groß geworden. Ich bin gewiss kein Frömmler geworden und habe meine Karriere innerhalb der katholischen Kirche lange vor der Priesterweihe abgebrochen, wurde aber auch nie von einem Kleriker sexuell angemacht oder gar missbraucht und dadurch wie viele andere traumatisiert. Das Kirchenjahr bot mir den Rahmen, in dem ich als Heranwachsender lebte.

Nach Weihnachten, Ostern und Pfingsten kamen viele Sonntage, an denen nichts Besonderes gefeiert wurde, aber mit Herzklopfen fürchtete ich jedes Mal, meine Mutter würde nach dem Sonntagsgottesdienst, den beide regelmäßig besuchten, auf meinen Chemielehrer treffen, was nichts Gutes für mich bedeutet hätte.

Über den Papst

Heute bin ich fast stolz darauf, von einem Kardinal gemaßregelt worden zu sein, der es später zum Papst gebracht hat. Zur Zeit meiner aufsässigen Radiokarriere war Professor Joseph Ratzinger nämlich gerade zum Kardinal der Diözese München/Freising berufen worden, und meine Unverschämtheiten gegen Gott und die Welt fielen in Teil eins natürlich in seinen Amtsbereich. Der Vertreter der Kirche im Rundfunkrat war damals ein Prälat namens Henrich, auf dessen Abschussliste ich einen der vorderen Plätze einnahm. Der biss sich an mir allerdings die Zähne aus, weil sich der Programmchef des Bayerischen Rundfunks irgendwann zwischen Frömmigkeit und Erfolg auf Letzteres festgelegt hatte. Also verpetzte mich der Kirchenmann wohl ziemlich unchristlich irgendwann an seinen Vorgesetzten, und der Rundfunkdirektor wedelte mit einem Briefbogen, auf dem das Kardinalssiegel prangte, als ich zum wöchentlichen Rapport bei ihm einlief: »Haben Sie versucht, die Fronleichnamsprozession auf die Autobahn in Richtung Nürnberg umzuleiten und dabei die Autofahrer vor Weihrauchnebel gewarnt? Hören Sie auf mit diesem Unsinn!« Kardinal Ratzinger hatte eine entsprechende Beschwerde eingereicht und dazugeschrieben, dass meine dauernden Unverschämtheiten ihn krank machen. »Dann werde ich meine Hörer zum Gebet für ihn aufrufen«, erwiderte ich keck, aber vorschreiben lassen wollte ich mir weder vom Münchner Kardinal noch von meinem Programmdirektor etwas. Beides waren in meinen Augen alte Männer, mit Vorstellungen, die vielleicht für gestern gültig waren, aber nicht für heute und schon gar nicht für morgen. Heute bekomme ich die Quittung von jungen Menschen, die so denken wie ich damals.

Über die Wahrheit

Die Menschheit hat sich seit jeher die Zähne an diversen Fragen ausgebissen, ohne sie befriedigend beantworten zu können. Die Frage nach der Wahrheit gehört zweifelsohne dazu. Selbst Jesus, der ja bekanntlich alles weiß, konnte oder wollte es Pilatus nicht erklären, als der ihn fragte: Was ist Wahrheit? Er konnte es sich jedoch leisten, an anderer Stelle seinen Follower, ausgerechnet den Apostel Thomas, mit der Antwort zu verblüffen: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.« Ich dagegen bin nichts davon und würde mich hüten zu versuchen, jemandem zu erklären, was »Wahrheit« ist, wenn ich schon nicht mal mehr zwischen wahr und falsch unterscheiden kann. Auf die grundsätzliche Frage »Quid veritas?« – was ist Wahrheit? – weiß ich schon gar keine Antwort, denn sie ist heute schwieriger zu beantworten als je zuvor in der Menschheitsgeschichte.

Über die Weisheit des Alters

Zweifellos spielt deshalb ein gewisser Neid derjenigen, die die Jugend hinter sich haben, auf die Jungen bei allen kritischen Anmerkungen zu deren Verhalten eine gewisse Rolle. Und die dämliche, aber nichtsdestotrotz oft gestellte Frage, ob man noch mal jung oder zumindest jünger sein möchte, als man ist, wird jeder, der beim Aufstehen den Rücken spürt, mit einem klaren Ja beantworten, wenn er noch bei Trost ist. Auch wenn dann häufig hinzugefügt wird, dass man, wenn einem die Chance des Neuanfangs gewährt würde, die Lebenserfahrung und Weisheit des Alters gerne schon als junger Mensch gehabt hätte. Nutzlose Theorien. Bis auf die Totenerweckungen in der Bibel, an die man glauben mag oder nicht, wurde noch keiner auf wundersame Weise zurück ins Leben geholt. Ob uns die Ewigkeit beschieden sein mag, ist ebenfalls eine Frage des Glaubens. Zumindest ist es eine Hoffnung, mit der es sich leichter sterben lässt, weswegen ich sie nicht aufgeben mag.

Das Thema »Alter« ist mir beim Schreiben genauso unangenehm wie Ihnen beim Lesen – was ist das bloß für eine eigenartige Ablehnung eines ganzen Lebensabschnittes? Wer jung ist, will davon gar nichts hören. Dabei gehören das Alter und der Tod einfach zum Leben dazu. Wir haben diese Themen oft genug überblättert, und wer im Herbst seines Lebens steht und spät anfängt, darüber nachzudenken, der darf sich glücklich schätzen, denn nur der frühe Tod rettet einen vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit.

Ich verschone Sie auch an dieser Stelle mit Statistiken und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema, aber nehme natürlich viele davon für den Eigengebrauch zur Kenntnis. Gerade wurde mir von der im Grundsatz beruhigenden Tatsache berichtet, dass sich die Wahrnehmung des Alters als vierter Lebensabschnitt nach Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter immer weiter nach hinten verschiebt.

Über die letzten Dinge

Gläubige Menschen in früheren Zeiten machten es sich leicht. »Mein Leben liegt in Gottes Hand«, stellten sie fatalistisch fest und ließen den daraufhin einen guten Mann sein.

Der meinte es dann mehr oder weniger gut mit ihnen, bis er zu irgendeinem Zeitpunkt, den er in seinem göttlichen Ratschluss für richtig hielt, seinen Followern den Saft abdrehte. Mal später, mal früher, aber meist zu früh. »Der Herrgott sprach das große Amen«, hieß es dann ergeben in der Traueranzeige. Ich war in den Fünfzigern und Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts ein eifriger Messdiener und habe für fünfzig Pfennige bei vielen Beerdigungen ministriert. Dieses »Kopfgeld« reichte damals locker für einen Schwimmbadbesuch inklusive Senfbrötchen und hat mir durch die Anwesenheit bei diversen Grablegungen eine gewisse Abgeklärtheit beim Thema »letzte Dinge« vermittelt. Mal sehen, ob mir das irgendwann helfen wird.

Der Satz: »Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben«, den ich als Messdiener in meinen Teenagertagen für das pflichtschuldige Salbadern von Geistlichen bei Beerdigungen hielt, ist ein Gedanke, der mir heute öfter die Stimmung vermiest, als mir lieb ist. Erst neulich verließ eine junge Kollegin ein Meeting mit der Entschuldigung, sie müsse auf eine Beerdigung. Die junge Frau, die da mit gerade mal zwanzig zu Grabe getragen wurde, war Opfer eines Motorradunfalls geworden, ausgerechnet im sonnigen Mallorca. Sicher zeigte der Kalender in ihrem Smartphone Termine, die sie für eine Zukunft eingetragen hatte, die sie ganz selbstverständlich auf sich zukommen sah. Mit einer Verbindlichkeit, von der sie genauso wenig ausgehen durfte wie ich, wenn ich mir Termine in meinen Kalender tippe, von denen ich nur hoffen kann, dass ich sie erlebe.

Das sind Themen, die jeden von uns betreffen und denen wir alle ausweichen. Schon klar, dass wir uns lieber mit dem nächsten Urlaub beschäftigen als mit der eigenen Beerdigung. Aber wer weiß schon, was eher eintreffen wird? Derart dunkle Gedanken wälzt man im Alter sicher öfter als in der Jugend.

 

Weitere Materialien

Infokasten

„Ungefiltert – Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“ von Thomas Gottschalk gibt es für 24 Euro im Buchhandel. ISBN: 978-3-453-21889-5

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